Märchen als Ausdruck verdichteter Lebenserfahrung und kultureller Überlieferung stellen in der Hospizarbeit einen besonderen Zugang her, das Leben über Sinnbilder zu erfahren und zu begreifen. Über die Inhalte von Märchen in einen gedanklichen Austausch zu kommen und dadurch Begegnung zu schaffen, kann ein wichtiges Element in der Sterbe- und Trauerbegleitung sein. Es geht dabei weniger um die zentralen Aussagen und Inhalte der einzelnen Märchen an sich, als vielmehr um die darin enthaltene Bildhaftigkeit und ihre besondere Sprache. Die in den Märchen enthaltene Weisheit liefert Anknüpfungspunkte, die als Erzählimpulse geeignet sind, Begleitung zu gestalten.
Heinrich Dickerhoff ist Direktor der Katholischen Akademie Kardinal von Galen in Stapelfeld bei Cloppenburg und hat katholische Theologie, Geschichte und Judaistik studiert. Seit 2001 ist er auch Präsident der Europäischen Märchengesellschaft e.V. Seine Publikationsliste zum Themenbereich Märchen ist lang und umfasst sowohl Märchen verschiedener Kulturkreise, wie auch solche, die in der Katechese und Erwachsenenbildung als biblische Lebenskunde zum Einsatz kommen können. Sein Anliegen ist es, die Botschaft der Märchen verstehbar zu machen.
"So wie wir gelebt haben, wollen wir auch dem Tod entgegen gehen", sagt Heinrich Dickerhoff in einer Widmung an die Hospizbewegung.
Märchen enden gut, sie lassen dem Bösen, Lebens-Feindlichen, Zerstörerischen nicht das letzte Wort – gegen allen Augenschein. Sie wünschen uns Glück, halten das Leben für einen Segen und trauen der Sehnsucht mehr als der Verzweifelung.
Natürlich gibt es himmelschreiendes Unrecht und unfassbares Unglück in der Welt, auch in der Innen-Welt der Märchen. Doch ebenso wahr, wenn auch kein Trost für die Opfer ist: alle Menschen-Macht ist endlich. All die Macht-Haber, die aus Willkür und Launen, Missgunst und Gier Leid und Tod über die Menschen bringen, müssen endlich doch auch den Tod erleiden. Darum verliert auch der böse König in unserem Märchen seine Macht und sein Leben.
Das ist eine harte Wahrheit mit wenig Trost. Ein klassisches Zaubermärchen hätte eine Fee oder jenseitige Helferin helfen lassen, den Befehl des Königs zu erfüllen. In modernen Erbauungs-geschichten hätte das solidarische Handeln der Freunde das Unglück abgewendet.
Doch in diesem armenischen Weisheitsmärchen behält der Tod das letzte Wort. Nichts und niemand kann den Tod entmachten. Aber wir müssen ihm und seinem Helfer, dem König, keine letzte Macht über unsere Seele lassen. Mich berührt in diesem Märchen mehr als das gute Ende die Gemeinschaft des Paares: So, wie wir gelebt haben, wollen wir auch dem Tod entgegengehen. Die Wahrheit annehmen, aber sich nicht unterwerfen, sich und seinem Leben treu bleiben. Und trösten und sich trösten lassen, wenn die Abschieds-Angst übermächtig wird. Es ist einer meiner Lebens-Wünsche, dass ich so meinem Sterben begegnen könnte.
Die Hospiz-Bewegung ist für mich ein solcher Frei-Raum, in den ambulanten Hospizen ganz deutlich sichtbar, aber auch schon über all da, wo ein Mensch mit „hospizlicher“ Haltung Sterbende und Trauernde begleitet. Der Tod wird nicht verleugnet, nicht ausgetrickst, nicht hektisch bekämpft. Aber hier dürfen Menschen dem Leben treu bleiben im Angesicht unseres Todes. Und manchmal sind sie sich nie treuer als auf dem letzten Weg, der Zielgerade.
Termin : |
Dienstag, den 27. Mai 2014 um 19:30 Uhr |
Ort : |
im Konferenzraum des Hümmling Krankenhaus in Sögel |
Anmeldung / Infos : |
Michael Strodt: 0173 / 26 89 234 |
Bibel TV : |
Rotkäppchen und der liebe Gott: Das Gespräch
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